Wilde Wasser wiederentdecken

Einer schlagartigen Rückkehr aus dem Trainingslager in Florida folgt der Stillstand. Zuhause trainiere ich alleine und sonst läuft auch nicht viel. Die 5er Corona Regel lässt Anlässe in den normalen Trainingsgruppen nicht zu. Wettkämpfe sind gar nicht der Rede wert. Doch schlimm ist’s nicht. Dann gibt’s halt ein gemütlicheres Jahr, denke ich mir. Doch ist das wirklich so und was läuft anders in Coronazeiten beim Ginger deines Vertrauens?

So schön flach war der Vierwaldstättersee schon lange nicht mehr. Und nicht nur am Morgen, nein, den ganzen Tag hindurch. Ich gehörte wahrscheinlich zur Minderheit, als ich mich darüber freute, dass die Kursschiffe nicht mehr in See stechen. Optimale Trainingsbedingungen also. Wobei perfekt ist’s trotzdem nicht. Obwohl die Wasserbedingungen perfekt sind komme ich nicht richtig in den Fluss im Training. Nach dem eher «langweiligen» Wintertraining fehlen mir die Wettkämpfe und ich bin etwas ziellos. Ich trainiere weiter, weiss jedoch nicht so richtig wofür. Ohne Rennen macht paddeln eben schon weniger Spass.

Etwas besser wird’s, als ich wieder ab und zu mit der Trainingsgruppe in Buochs trainieren kann. Das Krafttraining findet immer noch zuhause in der Wäscheküche statt, doch auf dem See bin ich nicht mehr alleine. Das motiviert. Trotzdem trainiere ich etwas weniger als in anderen Jahren. Da bleibt mehr Zeit für anderes. Ausnahmsweise schwinge ich mich schon im Frühling aufs Bike und holpere ab und zu den Pilatus, die Rigi oder sonst einen Berg hinunter. Doch auch im Kanu wage ich Neues.

Wegen Corona drängt der Trainingsplan etwas weniger und es ist auch nicht so schlimm, mal einen Tag nicht zu «trainieren». Ich sattle hie und da um ins Tourenboot und wage mich auf Flüsse, die nicht Rennboottauglich sind. So treibe ich bei Hochwasser die kleine Emme hinunter oder lasse mich meinen ersten richtigen Wasserfall hinunterfallen auf der Lütschinen. Das ist gfürchig macht aber richtig Spass.

Auf der Simme geht es dann los mit dem ersten Post-Corona-Trainingslager. Ich freue mich extrem wieder auf dem Wildwasser zu sein und ich komme gut voran. Die Schweizermeisterschaften, die gerade nach dem Trainingslager stattfinden, bestätigen dies. Mit zwei Siegen über die klassische Distanz und den Sprint bin ich zufrieden und beweise, dass ich einigermassen in Form bin. Ob sich diese gute Form auch international bestätigen kann, wird sich zeigen.

Zuerst passiert jedoch was anderes. Um mich noch besser auf das Training fokussieren zu können und näher bei meinen Teamkollegen und den Trainern zu sein, ziehe ich nach Rapperswil. In Rapperswil befindet sich das Leistungszentrum der Flachwasserkanuten und damit mein «place to be». Ich trainiere gut und kann Fortschritte erzielen, wobei ich sagen muss, dass ich leistungsmässig noch nicht dort angelangt bin im Regattaboot, wo ich sein will. Da ich aber an Wettkämpfen meistens noch etwas über mich hinauswachsen kann, ist hier ein abschliessender Vergleich schwierig, da schlicht noch keine Wettkämpfe stattfanden.

Aber zurück zum Wildwasser. Gerade sitze ich im Bus auf der Rückreise von Tschechien und dem ersten (und womöglich einzigen) internationalen Wettkampf dieses Jahr. Es war eine Freude wieder mal auf einem anspruchsvollen Kanal zu paddeln und sich gegen die ausländische Konkurrenz zu messen. Endlich ist das Wettkampffeeling wieder da! Meine Läufe sind zwar noch nicht wirklich sauber und es gibt noch einiges an Verbesserungspotential, aber ich bin zufrieden mit zwei Finalqualifikationen und einem 12. und einem 17. Platz im Sprint. Und das obwohl ich mich nicht als Sprinter sehe, sondern eher der Ausdauertyp bin. Vor allem aber hatte ich viel Freude am Paddeln und es war toll wieder Rennen zu fahren und das ist aus meiner Sicht das Wichtigste überhaupt. Ohne Spass machts keinen Sinn.

Und wie geht’s weiter? Das weiss keiner so genau. Auf dem Plan stehen noch eine Regatta in Bratislava, einige Rennen in der Schweiz selbst und ein Weltcup in Spanien. Doch zu viele Hoffnungen mache ich mir mal noch nicht. Bis jetzt hat es sich im Wunderjahr 2020 noch nicht gelohnt, zu weit über den Tellerrand hinaus zu planen. Daher stehe ich auch der U23 WM, die in den November verschoben wurde eher kritisch gegenüber. Das heisst aber auf keinen Fall, dass ich mich auf die faule Haut lege und rumhänge. Rennen fahren macht Spass und am Coolsten sind die Wettkämpfe, wenn man sie gewinnt. Das geht nun mal nicht ohne trainieren und das ist auch gut so. Also los!

Ginger is going wild

Endlich ist es da! Was? Das erste Abfahrtsrennen der Saison dänk! Nach einer langen Flachwasserperiode versuchte ich mich am Wochenende des 20/21 Mai erstmals wieder an den Tücken und Freuden des Wildwassers und zwar auf der Moesa im Tessin, wo die diesjährige Klassik Schweizermeisterschaft stattfand. Ich wusste zwar, dass ich physisch gut vorbereitet bin, hatte aber trotzdem ein bisschen ein mulmiges Gefühl ob ich meine Wildwasserfähigkeiten nicht verlernt habe und fragte mich, wie ich zur internationalen Konkurrenz stehe, denn diese war zahlreich anzutreffen auf der Rennstrecke, so Athleten aus Italien, Frankreich und sogar aus den USA.

Meine Mulmigkeit war dann nach der ersten Fahrt auf dem interessanten Fluss schnell verflogen. Die Trainingsfahrten verliefen optimal und am Samstag Nachmittag startete dann das langersehnte Rennen. Mit schnellen Paddelzügen und einer fast fehlerfreien Linie brachte ich mit einer Zeit von 13’06 ein gutes Rennen ins Ziel. In diesem Moment wusste ich noch nicht was diese Zeit bedeutete, weil ich direkt wieder zum Start musste, um das Rennen noch im C2 mit Benjamin Müller zu bestreiten, das auch gut lief und uns Rang 2 hinter einem italienischen Boot bescherte. Zum zweiten Mal im Ziel erfahre ich dann die unglaubliche Nachricht: Mein Kajaklauf brachte mir nicht nur den Sieg in der Juniorenkategorie und den Schweizermeistertitel, sondern sogar den Gesamtsieg über alle Kategorien. Ich hatte die Tagesbestzeit! Ganze 3 Sekunden trennten mich von der zweitschnellsten Zeit vom Franzosen Marceau Faget. Das erste Mal in meiner Karriere bin ich der Allerschnellste!

Am Sonntag beim Sprintrennen verpasste ich den Tagessieg trotz des schnellsten ersten Laufes knapp und musste mich mit Platz 2 begnügen, was aber trotzdem den Sieg in der Juniorenkategorie bedeutete. Im C2 brachten wir zwei solide Läufe ins Ziel und wurden gute Dritte. Mein Teamkollege Fabio Gretener konnte sich nach seiner Niederlage gegen Banjamin Müller im C1 am Vortag nun aber gegenüber den anderen wieder behaupten und holte sich den Sieg im Sprint.

Ein absolut erfolgreiches Wochenende ging dann mit der Rangverkündigung zu Ende, bei der ich ganze Medaillensätze abholen durfte. Auch wenn hohe Konzentration herrschte während den Wettkämpfen wurde an den Abenden viel gelacht und geplaudert, darum bleibt mir das Wochenende auch zwischenmenschlich toll in Erinnerung. Was will man mehr, als umgeben sein von Freunden und paddeln? Ich freue mich auf das nächste Mal!

 

Weltcup Muota

 

Schon 2 Wochen nach den erfolgreichen Rennen auf der Moesa bekam ich die Chance mich im, mit vielen Spitzenathleten besetzten, Teilnehmerfeld des Weltcups auf der Muota zu beweisen. Die Rennen auf der Muota sind Teil der Weltcupserie und stellen den ersten Kanugrossanlass in der Schweiz nach längerer Zeit dar. Unser „Heimbach“ Muota stellt eine grosse Challenge für uns Athleten dar, einerseits weil die schwierige Strecke viel Wildwasserkönnen verlangt und andererseits weil es super anstrengend ist auf dem schnellen Wasser zu paddeln. Nichtsdestotrotz nahmen wir die Herausforderung an und reisten am 1. Juni ins Muotathal um dem Bach zu zeigen „wo de bartli de moscht holt“…

Von Mittwoch bis Freitag war dann trainieren angesagt, was heisst die schnellste Linie zu suchen, die besten Paddelschläge zu setzen, die Strecke auswendig zu lernen und allgemein perfekt vorbereitet zu sein für den Wettkampf. Dies gelang unserem eher jungen Team bravourös und wir fühlten uns alle gut vorbereitet, sodass wir am Samstag beim Klassikrennen aus dem Vollen schöpfen konnten.

Den Wettkampf eröffnete die Frauenkategorie, wobei die Schweizerinnen überaus erfolgreich abschnitten. Die Solothurnerin Melanie Mathys holte sich souverän die Goldmedaille, das Nidwaldner Nachwuchstalent Hannah Müller überraschte alle und erreichte den 3. Rang und Flavia Zimmermann paddelte auf den sehr guten 5. Platz. Die internationale Konkurrenz war beeindruckt! Fabio Gretener lief es nicht ganz optimal, trotzdem konnte er das Rennen auf dem 14. Platz abschliessen. Als nächstes war ich gefordert. Vor dem Start fühlte ich mich sehr wohl und war total fokussiert. Ich startete gut und konnte den oberen Streckenteil sehr zügig bewältigen. Mein Boot pflügte sich optimal durch die Wellen bis hin zur Schlüsselstelle rund um den Muotastein wo ich auf einer Welle mein Boot nicht genug drehen konnte, sodass ich frontal in eine Walze fuhr und abrupt gestoppt wurde. Trotz dieses kleinen Missgeschicks erreichte ich das Ziel als momentan Schnellsten, was für nervenaufreibendes Warten sorgte, weil sich noch beinahe 40 Athleten auf der Strecke befanden. Das Warten schlug immer mehr in euphorisches Hoffen um und wurde schlussendlich zu ausgiebigem Feiern. Ich konnte den Grossteil der Topathleten unterbieten und fuhr auf den famosen 5. Rang, was für mich das beste Resultat in meiner bisherigen Karriere darstellt. Zudem habe ich mich so nah an der Weltspitze platziert, wie kein Schweizer zuvor an einem Weltcup. Ein voller Erfolg!!! Ein wahrer Wundertag für das Schweizer Team!

Am Sonntag fanden die Sprintrennen statt wobei die Muota, durch starke Regenfälle bereichert, fast doppelt so viel Wasser führte wie am Tag zuvor, was die Strecke völlig veränderte und sehr viel Anpassungsfähigkeit und Wildwassererfahrung erfordert. Die neuen Bedingungen wirkten sich auch auf die Schweizer Resultate aus, so musste sich Melanie Mathys mit Silber „begnügen“, Flavia Zimmermann konnte sich bravourös auf dem 5. Platz halten und Hannah Müller gesellte sich unglücklich zu den Fischen und konnte das Podest nicht mehr erreichen. Ich selbst hatte einen miesen ersten Lauf mit einer Ehrenrunde was mir die Direktqualifikation unerreichbar machte. Obwohl der zweite Lauf besser, aber trotzdem mit einigen Fehlern bestückt war, schaffte ich es nicht unter die Topten und so blieb mir eine Finalteilnahme verwehrt. Somit war der Weltcup für mich Geschichte.

Trotz des nicht optimal verlaufenen Sonntags, war es ein überaus erfolgreicher Weltcupauftakt für mich, was mich in den kommenden Jahren auf gute Resultate hoffen lässt. Sehr stolz bin ich aber vorallem auf die ganze Schweizer Teamleistung, weil jeder im Team sein Bestes gegeben hat und alle auch wenn zum Teil nicht grosse Resultate, grosse Fortschritte gemacht haben. So macht es Spass!!!