Ein leichter Wind weht und die Sonne verschwindet langsam hinter dem Horizont. Ich hätte nie gedacht, dass die Aussicht so schön ist. Doch nun stehe ich ganz oben und kann es einfach nur geniessen. Ich sehe meine Freunde jubeln und sie feiern mit mir. Auf dem obersten Treppchen steh nun ich, der Europameister.
Genug der Poesie. Los ging das Ganze mit einer leichten Enttäuschung. Als wir am Sonntag das erste Mal in Solkan (SLO) auf den Fluss gehen, werden wir überrascht. Wir hatten ja im vornhinein gehört, dass die Soca in diesem Teil sehr flach sei, aber dass sie gerade so flach ist, hätten wir nicht gedacht. Nun ja, dann ist es halt so und wir machen das beste draus. Wenigstens haben wir es nicht schwer die schnellste Linie zu finden. Nach einigen Trainingsfahrten geht es am Mittwoch endlich los mit dem Klassik Rennen.
Vor dem Start weiss ich, dass ich vorne mitmischen kann. Insgeheim träume ich von einer Medaille. Doch es gibt noch ein paar Stolpersteine. Bald zwei Jahre bin kein Klassikrennen mehr gegen meine Konkurrenten gefahren und ich kann ihre Fortschritte nur schwer einschätzen. Dann gibt es da diesen Franzosen, der aus dem Nichts kommt, an den Grossanlässen abräumt und danach wieder untertaucht. Oder den Belgier, der wegen seinen Flachwasserfähigkeiten gefürchtet wird. Ich kann schlicht nicht sagen, wo ich landen werde.
Doch das spielt eigentlich auch keine Rolle. Am Schluss kann ich eh nicht beeinflussen, wie die anderen paddeln, sondern nur, wie ich mich mache. Also konzentriere ich mich auf mein Rennen. Ich weiss, dass ich mich in der ersten Phase des Rennens ziemlich zurückhalten muss. Auf dem flachen Teil am Ende des Rennens muss man nochmals alle Kräfte mobilisieren können. Lieber auf dem schnell fliessenden Wasser langsamer paddeln, als auf dem stehenden Wasser keine Kraft mehr zu haben. So die Taktik, also los.
Jetzt gehts los
Nach dem Start finde ich schnell in einen effizienten und relativ kraftsparenden Paddelschlag. Ich kann genau so paddeln, wie ich mir das erhofft habe. Die Wellenstücke im ersten Teil des Rennens bringe ich ohne Fehler und mit einem guten Gefühl hinter mich. Doch dann kommen die letzten zwei «Todeskilometer». Auf diesen zwei Kilometern gilt es durchzubeissen und nicht zu viel Mitleid mit sich selbst zu haben. Streng ist es sowieso, egal ob man nun 95% oder 100% gibt. Wenn man aber trotz aller Unannehmlichkeiten Vollgas gibt, wird man im Ziel dafür mit einem besseren Resultat belohnt. Und so war’s auch.
Die letzte Kurve und endlich sehe ich die Ziellinie. Noch 200m. Ich gebe alles was noch in mir steckt. Meine Sicht beginnt sich einzuschränken. Seitlich sehe ich nur noch schwarz. Alles was ich noch im Auge habe ist die Ziellinie. Innerlich zähle ich die Paddelschläge mit. Immer wieder von Eins bis Vier. 1 2 3 4. 1 2 3 4. 1 2 und endlich im Ziel. Ich brauche eine Minute um mich zu erholen. Meine Teamkollegen am Rand jubeln. Ich habe bis jetzt die schnellste Zeit im Ziel. Doch hinter mir kommen noch sieben andere Athleten. Ich bange bei jeder Zieleinfahrt um meine Zeit. Doch wie sich herausstellt kommt keiner meiner Konkurrenten nur annähernd an meine Zeit von 14:40 Minuten heran. Ich gewinne mit 16 Sekunden Vorsprung auf den Belgier Kilian Meersmans und den Franzosen Augustin Reboule. Ich bin überglücklich.
An Land begrüssen mich meine Teamkollegen und freuen sich mit mir. Gefühlt alle Paddler und Trainer, die ich auch nur am Rande ein bisschen kenne, gratulieren mir und ich fühle mich fast ein bisschen wie ein Star. Zurück im Hotel wartet der Rest des Teams, der nicht an der Strecke sein konnte am Eingang auf mich und empfangen mich. All das hat mich wahnsinnig gefreut.
Bei der Rangverkündigung am nächsten Tag darf ich dann meine Medaille in Empfang nehmen und zum ersten Mal überhaupt erklingt bei einer U23 Europameisterschaft bei den Herren die Schweizer Nationalhymne. Ein bisschen stolz bin ich schon.
Die weiteren Wettkämpfe bestreite ich alle gut, für einen weiteren Exploit reicht es für mich mit Platz 9 im Sprint aber nicht. Nicht so den Schweizer Junioren Luis Clavadetscher, Aaron Schmitter und Patrick Gutknecht. Sie gewinnen im Team Sprint mit einem sensationellen Lauf die Silbermedaille und machen das Solkan Märchen perfekt. Gratuliere!
Zurück zur Normalität
Auf der Heimfahrt komme ich langsam wieder runter von meinem Hoch der letzten Tage. Ich bin schon fast froh, dass es wieder normaler zu und her geht. Doch dieser Zustand währt nicht lange. Als wir im Wassersportzentrum Buochs vorfahren, erwartet uns ein Empfangskommitee aus Trichlern, Freunden und Verwandten. Wir sind überwältigt vom Emfang. Vielen Dank für alle die da waren. Doch auch jetzt geht es nicht einfach zurück zur Normalität. Als ich am Montag bei meiner Wohnung ankomme, ist die Eingangstür und das ganze Treppenhaus geschmückt und ich bin gleich wieder in meinem Hoch. Danke Mama! Und auch jetzt geht es noch weiter, als ich am Dienstag das erste Mal wieder paddeln gehe, hängt an der Hauswand des Kanuclubs ein grosses Plakat von mir mit Glückwünschen. Also wieder ein weiterer Tag mit einem tollen Highlight. Danke Donat!
Insgesamt kann ich auf eine wahnsinnige Woche zurückblicken gespickt mit Freude und Highlights. Vielen Dank an alle, die mich unterstützt, mir geschrieben oder mich sonst irgendwie auf meinem Weg begleitet haben! Europameister zu werden, hat mir wahnsinnig Spass gemacht mit euch! Ich glaube ich sollte das öfters tun!