Es ist still. Sachte beginnen die Querflöten zu spielen. Zusammen mit den Geigen vereinen sie sich im Tanz. Es öffnet sich eine neue Welt. Nun gesellen sich die Klarinetten dazu. Danach die Streicher. Und dann hört man es ganz deutlich. Ein ruhiges, aber stetes auf und ab. Und in diesem Lauf der Musik treibe ich daher.
Den ganzen Sommer lang schon treibe ich vor mich hin. Klar eine Aufführung wie diese muss gut vorbereitet sein. Und ich bereite mich auch vor. Aber trotzdem lasse ich mich manchmal hierhin, manchmal dahin ziehen. Wieso sollte man sich denn den Strömungen des Lebens auch widersetzen? Ein Fluss schlängelt sich auch durch die Landschaft, mal links, mal rechts, doch die Richtung ist klar. Solange der Fluss fliesst, geht es vorwärts. Und so folge auch ich dem Strom. Im Vertrauen darauf, dass es schon gut kommt. Nach den enttäuschenden zwei Regatta Weltcups im Frühling beschliesse ich, mich künftig mehr auf das Wildwasserfahren zu konzentrieren. Ich kündige meine Wohnung in Rapperswil und ziehe zurück in die Zentralschweiz. Ich verabschiede mich von meinen Trainingskollegen und Trainern, mit denen ich so viel Zeit schon verbracht habe. Aber es soll so sein.
Etwas orientierungslos, aber stolz darauf, dem Fluss der Musik gefolgt zu sein, steht mir ein ganzer Sommer nur zur Vorbereitung auf die Wildwasser-Weltcups Ende August zuvor. Ohne Trainingsplan und genaue Idee, was ich mit all dieser Zeit anstellen soll, lasse ich mich gehen. Die Trompeten werden lauter und es tost und brummt. Habe ich mich richtig entschieden?
Ich folge den Nachwuchsathleten nach Tschechien an die Junioren & U23 WM als Videojournalist. Jeden Tag ein Video produzieren und mit der Wildwasserfamilie unterwegs zu sein macht Spass. Und da ist es wieder, das auf und ab, jedoch lauter und deutlicher als zuvor. Hier gehöre ich hin. Wieder zuhause beginne ich mit der Suche nach einem Praktikum bei einer Filmagentur. Und auch das Training läuft. Jede Woche überlege ich mir aufs Neue, welche Trainings ich machen will und befolge meinen Plan strikt. Paddeln mit Bremse, ein Sprinttraining oder auch einfach mal eine gemütliche Ausfahrt, um den Kopf zu lüften, es ist wunderbar.
August. Schon sechs Wochen ohne Struktur und genauen Plan. Die Streicher sind verstummt. Es ist fast still. Nur die Querflöten und die Harfen sind noch da, als kleiner pulsierender Rest. Fast 20 Bewerbungen habe ich mittlerweile verschickt, aber noch keine positive Rückmeldung. Was soll nur aus mir werden? Auch beim Training bin ich mir unsicher. Ich trainiere meistens alleine und habe keine Vergleiche. Machen meine eigenen Trainingspläne überhaupt Sinn? Es gibt kein zurück, die Weltcups stehen vor der Tür.
Da erklingt das Waldhorn und die Pauken schlagen. Die Trompeten erklingen wieder und die Streicher werden lauter. «Hallo Linus, Vielen Dank, dass du uns deine Kreativität gezeigt hast. Wir würden uns gerne mit dir in unserem Studio unterhalten.» Der Fluss hat eine Wendung genommen. Und da erklingt endlich wieder die Melodie. Der Arbeitsvertrag ist unterschrieben. Ich weiss jetzt, was aus mir werden soll. Und auch beim Paddeln geht es endlich los mit den Weltcups. Die Musik wird lauter und wilder.
Die ersten Rennen finden in Lipno in Tschechien statt. Auf der sogenannten Teufelsstrecke der Moldau. Einer der schwierigsten Flüsse der letzten Jahre. So wild, dass ich in der Trainingsfahrt seit langem wieder einmal kippe und rollen muss. Am Rennen läuft es dann aber besser und ich kann alles geben. Die Melodie bäumt sich nochmals auf und wird danach immer leiser, bis sie dann schliesslich ganz verstummt. Das Rennen ist vorbei. Doch da ertönt wieder ein Orchester. Die Schweizer singen: «Trittst im Morgenrot daher» Das hat es schon sehr lange nicht mehr gegeben in der Herren Kategorie. Der Fluss ist angekommen.
Wenn auch du dich durch meinen Sommer treiben lassen willst, empfehle ich dir wärmstens die Sinfonie Vltava (Die Moldau) von Bedřich Smetana. Unter anderem hier zu finden: https://youtu.be/l6kqu2mk-Kw?feature=shared